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Obwohl der ÖPNV für viele Menschen ohne Auto oftmals die einzige Möglichkeit zur Fortbewegung darstellt, kann das Pendeln schnell zum reinsten Stressmarathon werden. Glücklicherweise ist noch nicht alle Hoffnung verloren, denn dank Big Data konnte der öffentliche Nahverkehr in diversen ostasiatischen Ländern nachhaltig verbessert werden. Schauen wir uns dazu drei ausgewählte Big-Data-Anwendungsbeispiele im ÖPNV an – womöglich lassen sich ja einige Lehren daraus ziehen.
Wie der ÖPNV mehr Komfort schaffen kann
Der Bericht „Valuing Convenience in Public Transport“ vom International Transport Forum der OECD untersucht, inwiefern Komfort eine Rolle bei der Wahl zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsmitteln spielt. Demzufolge führt eine Erhöhung an Bequemlichkeit ähnlich wie eine Erhöhung an Transportgeschwindigkeit zu einer Reduzierung an Transport-Stückkosten (Euros/ US-Dollar pro Stunde oder Cents pro Minute). Dabei beeinflussen folgende Aspekte maßgeblich den Komfort im ÖPNV:
- Komfortaspekt:
- Warten in überfüllten Räumen
- Laufen in überfüllten Räumen
- Anstrengungsgrad beim Laufen
- Zuverlässige Zeitplanung
2. Komfortaspekt:
- Gehen und Warten unter normalen Bedingungen
- Stehen während der Fahrt
- Fahrtzeit bei längeren Fahrten und Abstand bei kürzeren Fahrten
3. Komfortaspekt:
- Umstiegszeiten
- Bereitgestellte Informationen an Bahnhöfen und Haltestellen
Ich selbst habe mich früher aus den genannten Gründen vor dem ÖPNV gegraust. Vor allem die stickige Luft, die Enge und das Gedränge setzten mir zu. Schwangere, Senioren und Fahrgäste mit besonderen Bedürfnissen müssen oftmals in überfüllten Zügen stehen, da die für sie vorgesehenen Sitzplätze meistens bereits besetzt sind und die Sicht darauf durch das Meer an stehenden Fahrgästen versperrt wird. Andere Faktoren, die meine Erfahrungen mit dem ÖPNV zusätzlich negativ geprägt haben, waren das Wetter, das Verhalten anderer Fahrgäste sowie die anzüglichen Bemerkungen, die ich gelegentlich auf meiner Pendelstrecke über mich ergehen lassen musste.
Um die nächstgelegene Haltestelle von meinem Arbeitsplatz aus zu erreichen, musste ich einen 10-minütigen schweißtriefenden Fußmarsch durch einen staubigen Tunnel sowie eine zwielichtig aussehende Nachbarschaft antreten. Ein anderes Mal musste ich mit klatschnassen Schuhen vom Bahnsteig zur Bushaltestelle wechseln. Nicht zu vergessen, die teure 10-minütige Taxifahrt zum nächstgelegenen Bahnhof. Kein Wunder, dass viele Menschen es bevorzugen mit dem eigenen Auto zu fahren – vorausgesetzt man kann es sich leisten. Aber nun genug von meinen Tiraden. Denn es gibt auch noch Gutes über den ÖPNV zu berichten – insbesondere aus Ostasien, wo der ÖPNV Big-Data-Technologien bereits erfolgreich integriert hat.
Big-Data-Beispiel Nummer 1: People Flow Tech von Hitachi für die Ost-Japanische Bahn (JR East)
Vor einiger Zeit sind die Bilder von überfüllten japanischen Bahnen um die Welt gegangen und haben so zweifelhaften Ruhm erlangt. In Zusammenarbeit mit der Firma Hitachi hat die Ost-Japanische Bahn JR East (The East Japan Railway Company) die sogenannte People Flow Tech entwickelt, um ihren Kunden ein besseres Fahrerlebnis zu ermöglichen. Laut der Hitachi Review kann diese neuartige Technologie Big Data von Zugsteuerungssystemen, automatischen Fahrschaltern, Überwachungskameras und weiteren Infrastruktursystemen sammeln, analysieren, prognostizieren und simulieren.
Das Verkehrsnetzsystem aggregiert und kombiniert Daten zur Zugposition und Fahrgastzahl, sodass Menschenansammlungen in Zügen und Bahnhofsgebäuden im Großraum Tokio visuell auf einer Karte dargestellt werden können. Die Fahrdienstleiter können sich dann diese Karte auf Bildschirmen ansehen, sodass Betriebsstörungen überwacht werden, Zugfahrzeiten angepasst und weitere Maßnahmen eingeleitet werden können. Zudem wird das SCORE-System zur Bewertung von Verkehrsproblemen eingesetzt, um den voraussichtlichen Zeitverlust anhand von Fahrgastbewegungsdaten zu berechnen. Durch prädiktive Analysen kann das Sicherheitspersonal ebenfalls die Personenströme in Bahnhofsgebäuden überwachen, Überlastungsbedingungen überprüfen und zukünftige Überlastungen durch Personalzuweisung reduzieren.
Weiterhin können Überwachungskameras sowie Bewegungsroutensimulationen verwendet werden, um Fahrgastbewegungen in Bahnhofsgebäuden zu erfassen. Zum Schutze der Privatsphäre nutzen die Überwachungskameras die sogenannte Eki-Shi-Vision-Technologie, um Personenbewegungen zu extrahieren und visuell als generische Symbole darzustellen. Zudem wird die Eki-Shi-Vision dazu genutzt, dass Fahrgäste sich via Smartphone über die Bahnhofsauslastung informieren können.
Big-Data-Beispiel Nummer 2: Seouls Nachteulen-Busse
Der Owl Bus – zu Deutsch Eulenbus – verkehrt ausschließlich zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens, um die Nachteulen der Stadt Seoul zu versorgen. Diese Busse sollen einen größeren Komfort und eine bessere Mobilität für die Einwohner der Hauptstadt gewährleisten. Seouls Wirtschaftswachstum führte dazu, dass immer mehr Berufspendler Busse benötigten, die zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen verkehren. Oftmals mussten Menschen mit niedrigem Einkommen, wie Studenten und Arbeiter, den Nachtzuschlag für Taxis bezahlen. Ein viel größeres Problem war jedoch, dass oftmals nicht genug Taxis verfügbar waren. Oftmals wurden illegal zusätzliche Fahrpreise verlangt oder sogar Fahrgäste abgewiesen. Daher wurde der Owl Bus ins Leben gerufen.
Die Korea Telecom sammelte die Nachtanrufe und ermittelte ein sternförmiges Netzwerk, das die Außenbezirke mit der Stadtmitte verbindet. Die Handydaten der Fahrgäste wurden verwendet, um die Nachfrage zu messen und mit Hilfe von Big Data wurde das Routenangebot der Owl Busse ausgebaut. Zudem können Fahrgäste anhand von Echtzeitbetriebsdaten die geschätzten Ankunftszeiten und Standorte der Busse über die Webseite oder App des ÖPNV-Anbieters Seoul Topis abrufen.
Big-Data-Beispiel Nummer 3: Datenaustausch (Data Sharing) in Hongkong
Seitdem Ende 2017 der Smart City Blueprint in Hongkong eingeführt wurde, haben über 80 öffentliche Einrichtungen mehr als 650 Datensätze freigegeben, sodass erhebliche Fortschritte beim Datenaustausch im ÖPNV erzielt werden konnten. Zu den ersten Datenaustausch-Projekten zählt die Online-Busbuchungsplattform GoByBus, die das Ziel verfolgt den grenzüberschreitenden Busverkehr in Hongkong zu verbessern. Datenaktualisierungen über Busterminals, Routen und Haltestellen werden zusammengeführt und Busnutzern zur Verfügung zu stellen. Durch Big-Data-Technologie werden GPS-Chipgeräte in grenzüberschreitenden Bussen installiert und dadurch die Ankunfts- und Abfahrtsdaten in Echtzeit geliefert.
Eine weitere Big-Data-App, welche Hongkongs Bürger dabei hilft schneller ans Ziel zu gelangen, ist die Pokeguide-App. Diese generiert anhand von Big-Data-Analysen und künstlicher Intelligenz (KI) mögliche ÖPNV-Routen. Wie der Mitgründer der Pokeguide-App Brian Hui gegenüber der China Daily verlautet: „Die Veröffentlichung von Ankunfts- und Abfahrtsinformationen in Echtzeit kann mehr Menschen dazu ermutigen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Intelligente Technologien können die Verkehrsstaus in einer so dichtbesiedelten Stadt reduzieren.”
2019 beschlossen das Hong Kong Transport Department (TD) und die MTR Corporation Limited Echtzeit-Ankunftsdaten auf vier der MTR-Schienenlinien über das Public Sector Information (PSI) Portal für die Öffentlichkeit und die Transportindustrie öffentlich zugänglich zu machen. Darüber hinaus steht für 2020 die Einführung von Echtzeit-Ankunftsdatenerfassungssystemen für grüne Minibusse (GMB) auf der Big-Data-getriebenen ÖPNV-Agenda der Regierung. Durch die über 3.300 eingebauten Ortungsgeräten in den grünen Minibussen (GMB) können Fahrgäste über das PSI-Portal und die mobile App HKeMobility auf die Echtzeit-Ankunftsdaten zugreifen.
Welche Rolle Big Data für den ÖPNV spielt
Big Data gleicht fast einem Wunderwerk, wenn es darum geht Menschenansammlungen in Zügen und Bahnhöfen besser zu steuern. Ebenfalls kann Big-Data-Technologie so eingesetzt werden, dass die Privatsphäre aller Beteiligten geschützt wird. Radiale Netzwerke unter Verwendung von Mobiltelefondaten können ebenfalls dazu genutzt werden, die Nachfrage nach Massentransportdiensten in Städten zu messen und zu decken.
Eins haben alle drei Beispiele jedoch gemeinsam: Sie alle liefern Echtzeiteinschätzungen hinsichtlich Staus, Ankunfts- und Abfahrtszeiten, sodass Fahrgäste die möglichst beste Fahrroute wählen können. Denn letztendlich geht es darum den ÖPNV möglichst bequem zu gestalten. Es zeigt sich, dass Big Data den Komfort im ÖPNV mithilfe von Big Data erheblich ausbauen kann. Andere Länder wie Deutschland, die über ein weniger ausgefeiltes Big-Data-System im ÖPNV verfügen, können womöglich einige Anregungen mitnehmen.