This post is also available in: English (Englisch)
In vielen unserer Artikel beschäftigten wir uns damit, dass die Pandemie Narben im ÖPNV hinterlassen hat. Wir konzentrierten uns dabei häufig auf die Fahrgäste. Aber haben wir über die Menschen gesprochen, die sich Tag für Tag darum kümmern, dass die Passagiere von A nach B kommen? Bisher leider nicht. Aus diesem Grund folgt nun ein längst überfälliger Artikel über die Mitarbeiter des ÖPNV und ihre Gesundheit.
Warum sollte das Personal geschützt werden?
Die Mitarbeiter sollten geschützt werden, weil sie offensichtlich das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs sind. Die folgenden Aussagen belegen das.
“Die Mitarbeiter sind das höchste Gut im ÖPNV. Daher muss besonders auf sie als Individuum und in ihrer Funktion als Fahrer, Aufseher, Leiter etc. geachtet werden. Als Mitarbeiter des ÖPNV haben sie selbstverständlich unmittelbaren Kontakt zu den Kunden, d. h. zu den Fahrgästen.”
Die Transformative Urban Mobility Initiative (TUMI) zu der Sicherheit der Mitarbeiter.
“ÖPNV-Mitarbeiter streiten im Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front. Sie sind die Fahrer, Ticketverkäufer, Schaffner, Reinigungskräfte, Wartungsarbeiter und Büroarbeiter, die zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs beitragen. Außerdem tragen sie maßgeblich dazu bei, dass andere systemrelevante Kräfte ihre Arbeitsstellen erreichen, sodass Kranke gepflegt werden und die Supermarktregale gefüllt bleiben.
Die International Transport Workers’ Federation (ITF) zu der Wichtigkeit das ÖPNV-Personal vor der Pandemie zu schützen.
Wie wir in unserem Artikel über das Verkehrssystem Kenias berichtet haben, ist das Minibus-System auf zwei Arbeiter pro Fahrzeug angewiesen: den Fahrer und den Busbegleiter. Wenn beiden keine Sicherheit garantiert wird, wie soll das System dann noch funktionieren?
Um genau zu sein, hat mich eine Umfrage der New York University (NYU) School of Global Health dazu bewegt, mich gründlicher mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Der Artikel behandelt die Auswirkungen der Pandemie auf ÖPNV-Mitarbeiter in New York City. Nun folgt eine Zusammenfassung der Umfrage, die mit mehr als 700 ÖPNV-Mitarbeitern in New York City durchgeführt wurde:
- Im vergangenen Jahr (2020) gab es in den Monaten Juli und August mehr persönliche Schutzausrüstungen, Sicherheitsutensilien und Hygienekonzepte als vor März 2020. Dennoch wurden Mitarbeiter infiziert und das Personal machte sich Sorgen.
- 24% der befragten Personen, waren infiziert.
- Ungefähr 50% der Arbeiter sagten aus, dass sie über Beobachtungen von Symptomen Bescheid wussten. Außerdem haben sie mitbekommen, dass Mitarbeiter nach Hause geschickt wurden, wenn sie Symptome zeigten. Personal wurde auch dann nach Hause geschickt, falls die Gefahr bestand, dass sie sich am Arbeitsplatz mit dem Virus infizieren könnten.
- 90% der ÖPNV-Mitarbeiter waren im August 2020 besorgt, dass sie sich anstecken könnten.
- Mehr als 70% machten sich Sorgen, da manche Fahrgäste keine Maske trugen, wütend wurden, wenn sie gebeten wurden eine Maske zu tragen, gar das Personal attackierten und auch attackiert wurden, wenn sie Fahrgäste nicht zurechtwiesen eine Maske anzuziehen.
- Außerdem litt auch die geistige Gesundheit der Arbeiter und sie entwickelten Vertrauensängste. Sie waren auf Familie, Freunde und ihren Glauben angewiesen, um Kraft zu schöpfen und Resilienz zu zeigen.
Die Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte einen Artikel, in der sie über die Misere von systemrelevanten Arbeitern während der Pandemie berichteten. In dem Artikel wird die Aussage getroffen, dass besonders ÖPNV-Mitarbeiter unter der Pandemie zu leiden haben. Und an den folgenden Beispielen wird die Belastung deutlich: Die Metropolitan Transportation Authority (MTA) in New York City gab bekannt, dass fast 4000 Mitarbeiter infiziert wurden und 120 verstarben; in London starben 28 Busfahrer; ein kongolesischer Zugticketverkäufer in Großbritannien, namens Belly Mujinga verstarb, nach dem er von einem Fahrgast angehustet wurde, der behauptete, an COVID erkrankt zu sein.
Im Mai 2020 veröffentlichten Lan, Wei, Hsu, Chrisiani und Kales eine Folgestudie, die die COVID-19-Übertragung in sechs verschiedenen asiatischen Ländern und Regionen bezüglich des Arbeitsplatzes untersuchte. Diese Studie wies auch in asiatischen Ländern eine Gefährdung am Arbeitsplatz nach. Das Forschungsteam verfolgte für 40 Tage die Statistiken der Regierung über die COVID-Fälle, nachdem der erste örtliche Fall eintrat. Sie ließen bei ihren Untersuchungen die Fälle weg, die von anderen Ländern importiert wurden. In der Untersuchung analysierten sie Hong Kong, Japan, Singapur, Taiwan, Thailand und Vietnam.
Innerhalb der 40 Tage definierten die Forscher als möglichen Zwischenfall am Arbeitsplatz folgende Szenarien: Wenn ein Arbeiter engen Kontakt mit einem weiteren Mitarbeiter hatte, der positiv getestet wurde oder ein Arbeiter, der sich wahrscheinlich am Arbeitsplatz angesteckt hat. Danach berechneten sie die Fälle am Arbeitsplatz und bestimmten eine zeitliche Verteilung aller möglichen Fälle.
Die zeitliche Verteilung zeigte 103 mögliche Fälle am Arbeitsplatz an; das sind ungefähr 14,9% der 690 örtlichen Übertragungen. Von den fünf Gruppen, die untersucht wurden, lagen ÖPNV-Mitarbeiter (gleich auf mit Dienstleistern und Vetriebsmitarbeitern) auf dem zweiten Platz der gefährdeten Gruppen. Auf dem ersten Platz waren Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Das Ergebnis beweist, dass ÖPNV-Mitarbeiter geschützt werden müssen. Oder?
Wie kann ÖPNV-Mitarbeitern mehr Sicherheit garantiert werden?
TUMI gibt folgende Tipps, um ÖPNV-Mitarbeiter vor COVID-19-Infektionen besonders auf der Arbeit zu schützen:
- Die Mitarbeiter sollten mit Informationen über Risiken versorgt werden. Außerdem sollten sie Schulungen besuchen können.
- Mit Schutzanzügen und Desinfektionsmittel versorgen.
- Gesundheitsuntersuchungen bei Mitarbeitern durchführen.
- Vordere Tür des Busses geschlossen halten. Der Fahrer sollte keine Tickets verkaufen müssen. Stattdessen Online-Tickets verwenden.
- Räumliche Distanz zwischen Fahrgästen und Mitarbeitern mittels Plexiglasscheiben und markierten Abgrenzungen schaffen.
- Mit unterstützenden Infrastrukturen versorgen.
Solche Maßnahmen wurden bereits in die Praxis umgesetzt. Beispielsweise bekundete die Webseite der London City Hall, dass der Transport for London (TfL) seine Mitarbeiter mit Masken ausgestattet hat. Zudem wurde ein gut durchdachtes Hygienekonzept umgesetzt und den Mitarbeitern die nötigen Utensilien gegeben. Busfahrer und Fahrgäste wurden durch eine durchsichtige Scheibe getrennt. Zusätzlich wurden Schilder angebracht, die die Fahrgäste dazu auffordern, nicht in der Nähe des Fahrers zu sitzen. Auch Forscher wurden dazu aufgerufen, weitere wissenschaftlich fundierte Hygienekonzepte zu entwickeln.
Es scheint so, als würde schon genug getan werden. Allerdings rufen Organisationen wie die International Labour Organization (ILO) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation dazu auf, Mitarbeiter im öffentlichen Verkehr besser zu schützen. Im September 2020 äußerte die ILO, dass die Lücken zwischen Arbeiterschutzgesetzen und dem Sozialschutz zu verschiedenen Problemen führen. Mitarbeiter können sich demnach nicht krankheitsbedingt beurlauben lassen und anderen systemrelevanten Arbeitern werden Entschädigungen gezahlt.
Die Empfehlungen der ITF ähnelten denen der ILO. Auch sie veröffentlichen Aufforderungen, in denen sie zum Schutz der ÖPNV-Mitarbeiter aufrufen. Sie fordern, dass Mitarbeiter im öffentlichen Verkehr ebenfalls als systemrelevante Arbeiter eingestuft werden. Des Weiteren sollen den Mitarbeitern persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollen die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass sich das Infektionsrisiko auf ein Minimum beschränkt. Die Mitarbeiter sollen Zugang zu Gesundheitsdiensten und bessere Kommunikationsmöglichkeiten haben. Außerdem sollen ihre Gewerkschaftsrechte geschützt werden. Im schlimmsten Fall hat das ETF EU-Richtlinien aufgelistet, um die Mitarbeiter zu schützen, wenn Arbeitgeber sich weigern auf ihre Arbeitnehmer zu achten.
Für die Sicherheit der Mitarbeiter muss mehr getan werden
Betreiber von öffentlichen Verkehrsmitteln wurden dazu aufgefordert, ihre Mitarbeiter als systemrelevant einzustufen. Die Mitarbeiter sollen mit ordentlicher Schutzausrüstung ausgestattet werden und unter sicheren Arbeitsbedingungen arbeiten können, sodass Übertragungen verhindert werden können. Die Arbeiter sollten auch Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, krankheitsbedingt Urlaub beantragen können und Entschädigungen bezahlt bekommen, wenn sie in Notlage geraten.
Diese Regelungen allein reichen aber nicht aus, da beispielweise auch gewalttätige Übergriffe von Fahrgästen auf Mitarbeiter geschehen. Betreiber und Gesetzesgeber sollten daran arbeiten, ihre Arbeitnehmer vor gewalttätigen Fahrgästen zu schützen, indem härtere Strafen vollzogen werden.
Aber die Fahrgäste sollten immer im Hinterkopf behalten, dass die Mitarbeiter nur ihre Arbeit machen, wenn sie einen dazu auffordern die Maske aufzusetzen, damit Übertragungen verhindert werden können. Hygienemaßnahmen, wie das Tragen einer Maske, Abstand halten und das Desinfizieren gilt für alle Menschen, auch für ÖPNV-Mitarbeiter und Fahrgäste.
Fahrgäste müssen verstehen lernen, dass Mitarbeiter im öffentlichen Verkehr systemrelevant sind. Erst ihre Arbeit erlaubt es den Menschen, an ihre Ziele zu kommen.